Frau A. Schweinsfuss auf dem Weg zum Psychologen, letzten Samstag

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Sie hatte ein Problem, seit Kindheit, ihr Vater, ihre Nachbarn, die Lehrer, der Mann am Kiosk, geile Augen überall, die wie kleine Äpfel von allen Bäumen hingen und ihr folgten. Sie sah so gut aus wie keine andere Frau, schmerzlich gewöhnte sie sich daran, humpelte durchs Leben, war nun Anfang Sechzig und endlich bereit, sich ihren Problemen zu widmen und auf dem ersten Weg zu ihrem ersten Psychologen, jetzt, wo sie es beruflich geschafft hatte, ihre Seifenfabrik international anerkannt war, die sie von ihrem Vater geerbt hatte. Ihr ging es gut, aber sie hatte ein Problem. Sie war ein Mädchen geblieben und hegte eine Lust nach Obskurem und Verborgenen, das sie niemandem erklären konnte, weil es dann nicht mehr verborgen wäre, aber genau dies zu tun, war ihr Ziel durch die Weststadt, wo ihr erster Psychologe praktizierte, den sie das erste Mal besuchen wollte. Seine Adresse hatte sie zufällig ausgewählt, unter den rund siebzig Psychologen der Stadt hatte sie ihren Finger wählen lassen, blind – also keinesfalls zufällig, denn Zufälle gab es nicht im Leben der Seifenfabrikantin A. Schweinsfuss.

Ihr war bewusst, im schäbigsten Teil der Stadt gelandet zu sein, wo sie noch nie einen Fuss hin gesetzt hatte. Irgendwie genoss sie es. Die Vorhänge der Häuser rührten sich nicht, wenn sie an ihnen vorüber ging. So, wie am Berg, wo sie wohnte und mit all ihren vermögenden Nachbarn die Stadt überschaute an diesem hellen, sauberen See. Wo Alle Allen Alles richtig machen wollten und sich gegenseitig fein im Auge hatten, wenn man den Porsche in die Garage fuhr, oder auf der Dachterasse Tennis spielte. Hier nicht! Hier war sie gelandet im Westende der zu reichen Stadt, wo der Ausfluss des Sees sich mit den brauen Fluten des anderen Flusses vereinte.
Frau Schweinsfuss gefiel der Geruch nach Seife, den der Fluss in sich trug und ging mit dem Smartphone in der Hand ihrem ersten Psychologen entgegen. Ihren Porsche musste sie leider zu Hause lassen, die Elektronik spinnte, was natürlich kein Zufall war, wie immer, wenn der Bordcomputer streikte und ihr feine Signale zusendete, irgendetwas anders zu machen.

Sie war ja so offen wie ein Buch zu sich selbst, aber klappte dies immer zu, sobald ein Mensch des Weges kam. Sie war verschlossen, wie eine Seifenschale, aber innen lag sie sich selbst unbedeckt gegenüber. Glaubte sie. Und in ihrer Unbedecktheit sich selbst gegenüber entdeckte sie ein Problem. Einen Pickel, hinter den sie nicht blicken konnte in ihrem auf Reinheit gerichteten Leben. Ihr prinzipielles Problem mit Männern.

Also liebte sie diesen weiblich süssen Seifengeruch des Flusses, bog dann ab in eine Querstrasse, die sie zu einem Park führte, durch den sie nun ging, das erste Mal in ihrem Leben. Sie folgte der Route die auf ihrem Apple angezeigt wurde und hatte aber durchaus auch ihre Augen auf ihre Umgebung gerichtet, die aus einem wundervollen Stadtpark bestand, mit grossen, uralten Linden und Buchen, Büschen, die am Blühen waren. Und in aller Herrgottsmitte, da, wo in jedem Land der Welt ein Tempel stünde, eine Kapelle, oder gar ein Denkmal eines Fürsten, oder Dichters, standen ein paar Bronzepferde. Lebensgross und in der frühen Sonne goldgelb glänzend, liessen sie Frau A. Schweinfusses Herz gleich noch höher schlagen, als es die Schönheit des Parks in ihr schon ausgelöst hatte.

Mutig wie sie wurde, im Anblick von Pferden, lief sie quer über die Wiese zu den Bronzepferden hin, sah sich um, sah niemanden, schwang sich auf den Rücken des grössten Pferdes und lächelte so wild sie konnte, während sie mit ihrem Apple ein paar Selfies knipste. Genau, was sie brauchte auf Instagram.

Frau A. Schweinsfuss war eine erfolgreiche Seifenfabrikantin und auf der Höhe ihrer Laufbahn. Zu den unzähligen Fotos, die sie auf ihren eigenen Rennpferden zeigten, die sie in verschiedenen Gestüten hielt, inklusive Argentinien und Botswana, hatte sie nun endlich ein Foto auf einem GOLDENEN Pferd. Welch ein Triumph! Frau A. Schweinsfuss, von ihren Untergebenen „Die Locke“ genannt, auf einem Pferd aus purem Gold. Dass es nur Bronze war, sah ja niemand.

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Gekonnt stieg sie vom goldenen Pferd hinab zum Boden der Realität dieses berüchtigten Stadtparks und dabei brach die bleistiftdünne Hacke ihrer Fendi Schuhe ab, wodurch sie gleich einen halben Kopf kleiner neben dem Pferd stand, als sie es eben bestiegen hatte.

Sie zitterte am ganzen Körper. Dass ihr das ausgerechnet hier und ausgerechnet jetzt passierte, MUSSTE Zufall sein. Da gab es keine andere Erklärung. So ein verdammter Mist. Sie hielt sich am Hintern des Pferdes fest und stand mal auf dem linken Fuss, und dann wieder auf dem rechten. Sie bückte sich, hielt jetzt eine abgebrochene Ferse eines weissen Fendi Schuhes zwischen Mittelfinger und Zeigefinger, stellte sich wieder gerade, hielt sich mit der Hand am Pferdehintern, mit der sie noch die abgebrochene Ferse hielt, als ein Typ des Weges kam und sie fragte, ob sie Feuer braucht. Für ihren Joint.

Der Typ war ungefähr in ihrem Alter, war aalglatt rasiert, hatte etwas längere graue Haare, Nordseeblaue Augen, und so tiefe Lachfalten, dass Frau A. Schweinsfuss die Frage mit einem mutigen Lachen beantwortete. Das ist die Ferse von meinem Schuh! Sagte sie und blickte runter. Oh, das ist ja schlimm! Sagte der Typ und reichte ihr die Hand. Darf ich ihnen zu der Bank dort drüben helfen, ich schau dann, was ich tun kann.

Auf dem Weg zur Bank wurde ihr der Geruch wahr, der von diesem Typen ausging. Er roch ganz dezent nach Pferdemist. Nur ein Hauch dieses Duftes, das sie von ihren Knechten kannte, die für ihre Pferde sorgten. Er hatte sie immer etwas erregt, aber das hatte sie nie gezeigt. Ihr Beruf, ihre Stellung erlaubten es ihr nie, ihrem tamilischen Stallknecht in den Hintern zu kneifen. Oder John Kruger in ihrem Gestüt in Botswana die Mistgabel aus der Hand zu nehmen und ihm den Schwanz zu lutschen, im Heu.

Als sie sich auf die Parkbank setzten, in die wärmende Frühlingssonne, überlegte sich Frau A. Schweinsfuss natürlich sofort, wie sie nun weiter kommt, immerhin hatte sie ja ihren ersten Termin bei ihrem ersten Psychologen. Das ist aber wirklich blöd! Sagte sie und streifte ihren Sitznachbarn mit ihren seit Ewigkeiten geschminkten Augen. Ja, wirklich saublöd, sagte der Typ und griff mit dem rechten Arm unter die Parkbank, zerrte einen schwarzen Samsonite Koffer darunter hervor und kramte zwei Dosen Bier raus. Da, nehmen sie mal einen Schluck!
Oh, nein danke, ich habe einen Termin! Lehnte sie höflich ab.

Ach so, geschäftlich wohl, meinte der Typ und wollte sie gerade um etwas Münz bitten und ihr vorschlagen, sie zu stützen, während dem Gang zu ihrem Termin, gerade in dem Augenblick stolperte auf der anderen Seite des Parks eine Bekannte des Typen, blieb laut fluchend und halb gebeugt stehen, weil ihr offensichtlich die Ferse abgebrochen war, ihrer eifelturmhohen Absätze der Nuttenschuhe, mit denen sie auf dem Heimweg war.
He, Upoa! Bellte der Typ laut rüber, stand auf und lief quer über die Wiese davon. Dort unterhielten sich die zwei, ohne dass Frau A. Schweinsfuss es verstehen konnte, alles was sie sah, war, dass die dunkle Frau sich ihrer Schuhe entledigte, dem Typen sie gab und barfuss weiter lief, wie ein Gepard auf der Jagd. Der Typ kam schnell zurück, in der rechten Hand den linken Schuh der dunklen Frau. Passt der? Fragte er in vollster Unschuld, die einzig der Einfache in sich trägt.
Sie machen wohl Spass! Meinte Frau A. Schweinsfuss. Das kann nicht ihr Ernst sein! Ich bitte sie! Ich habe einen Termin!
Der Typ stand breitbeinig vor ihr. Er hatte eine schmale Hüfte und dunkelblaue Bundfaltenhosen, die von einer silbernen Gürtelschnalle zusammengehalten wurden. Hier, probieren sie!
Dass dies nun doch alles kein Zufall sein konnte, war Frau A. Schweinsfuss inzwischen klar, ausserdem war der Schuh ebenso weiss wie ihrer und in etwa der gleichen Grösse. Mit spitzen Fingern nahm sie ihn entgegen, streifte ihn über ihren Fuss und zog den goldenen Reissverschluss hoch. Am Reiter hing die Plakette von Givenchy.

Und, passt doch? Sagte der Typ lapidar. Stehen sie mal auf! Sehen sie, sie hatten doch richtig Glück im Unglück! Sie lächelte, aber ihr Lächeln wirkte geborgt aus ihrer Seifenreklame, mit der sie Abend für Abend Millionen Zuschauer anlächeln liess.
Aber die passen ja überhaupt nicht zusammen, beschwerte sie sich entrüstet, so kann ich doch unmöglich zu meinem Termin. Es ist ja schon zehn! Ich muss neue Schuhe haben. Schnell! Wo ist der nächste Schuhladen bitte Herr, wie ist ihr Name überhaupt? Ich bin die Frau As. Ja, As, wie As im Pokern! Angenehm, ich bin der Typ. Der Typ? Genau!
Sie sind mir aber einer…! Eben! Aber Schuhgeschäfte gibt es hier nicht!
Sind sie sicher? fragte Frau A. Schweinsfuss und bekam leichte Wallungen, die sie noch nicht einteilen konnte, ob dies Wallungen des Ärgers waren, der Wechseljahre, oder etwas anderes…

Kennen sie sich denn aus, hier? Fragte sie den Typ. Ja, ich wohne hier! Wo, in dem Haus dort drüben? Nein hier. Auf dieser Bank. Er schob den schwarzen Koffer wieder unter die Bank, überlegte kurz und machte ihr ein Angebot. Wissen sie, Frau As, ich zeige ihnen, wo sie ganz tolle Schuhe finden. Sie sind zwar nicht neu, aber toll!
Toll! Antwortete ihm die Frau. Und in welchem Abfallsack findet man die? Sie war inzwischen auf hundertachtzig. Adrenalin pumpte durch ihren Körper. Endorphine flutschten durch Zellmembranen. Testosteron quoll aus allen Drüsen. Der Typ roch gut.

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Gleich dort drüben ist ein Flohmarkt, Frau As! Da finden sie die tollsten Schuhe, ich zeig ihnen gerne, wie hin! Sie schaute auf die Uhr, sie hatte noch die halbe Stunde Zeit, in der sie sich eigentlich in einem Kaffee nachschminken wollte, also ging sie etwas unsicheren Schrittes hinter dem Typ her. Da der Absatz des gefundenen Schuhes etwas höher war, humpelte sie etwas, aber als Reiterin hatte sie nicht wirklich Probleme damit. Hauptsache, es sah sie kein Geschäftspartner, oder einer ihrer Tausenden Mitarbeitern, die genau im ärmsten Teil dieser zu reichen Stadt leben.

Aber sie war ja gut getarnt. Hinter dem Typ her gehend, hinter seinem flatternden Burberry Mantel in Bentley Braun. Aber auch, weil sie sich noch nicht nachgeschminkt hatte, wie man sie einzig kannte aus den Livestyle Magazinen und der Yellow Press. Sie überquerten eine viel befahrene Strasse, ein paar Quartierstrassen und schon sahen sie den Flohmarkt vor sich, dieses bunte Treiben um ein altes Schulhaus herum, wie eine Umgehung des Wissens durch turbulentes Chaos im Uhrzeigersinn, oder im Gegenuhrzeigersinn, ganz wie es einem beliebt. Frau A.Schweinsfuss blieb angewidert stehen, bevor sie hinter dem Typ über die lange Strasse ging und in das Gewühl des Flohmarktes hinein. An einem Flohmarkt war sie nämlich Zeit ihres Lebens noch nie!

Kommen sie! Sagte der Typ in ruhigem Ton eines Mannes, der sich seiner Sache bewusst war. Ich zeige ihnen, wo es Schuhe gibt! Da lang!

Sie hatte noch nie inmitten so einfacher Menschen gestanden, hier in ihrer Stadt. Sie kannte einfache Leute in Argentinien, oder Botswana, aber nie hier in ihrer Stadt. Sie pflegte eine geheime Verachtung gegenüber dem Einfachen, war es doch ungehobelt und ohne Glanz, ohne Gloria. Einfachkeit war ihr zuwider. Indigniert blickte sie auf die Stände links und rechts, durch die der Typ sie führte, lauter Abfall, ging ihr durch den Kopf, ihre Nackenhaare sträubten sich, wodurch ihre Locke noch prominenter wurde, in ihren rotblonden Haaren. Lauter verrosteter Kram und Dreckwäsche, ging ihr durch den Kopf und dahinter sitzen unrasierte Bettler, oder Frauen mit Kopftüchern.

Wie ein Pferd, das zum ersten Mal in seinem Leben in einen Wald gerät und vor lauter den Weg versperrenden Bäumen in Wallung gerät, in immer tiefere Sorge, und dann plötzlich heraus bricht, in eine idyllische Lichtung voller grünem Gras mit Schmetterlingen, die sich im Sonnenlicht umtanzen, blieb Frau A. Schweinsfuss wie angewurzelt stehen, als sie eine geschnitzte Maske am Boden sah, auf einem alten Brett. Sofort lief ihr gesamtes Leben rückwärts im Flug zurück zu ihrer Kindheit in Botswana, im Haus ihrer Grosseltern, wo genau diese Maske über ihrem Bett im Besucherzimmer hing. Genau diese Maske…

Es war genau dieser spöttische Blick, den sie an dieser Maske liebte, diese afrikanische Überlegenheit, die sie als Kind höher achtete, als den strengen Blick ihrer Grossmutter, die damit ihre ganze Familie angesteckt hatte. Sie bückte sich über die Maske. Eighty Franks, Madame, sagt der Verkäufer, den sie erst jetzt bemerkte, ein Afrikaner. Sie erschrak bei seinem Anblick, denn er glich einem Knecht in Botswana, der ihr mal ein Pferd gestohlen hatte und nie wieder gesehen wurde. Sie nahm die Maske hoch und roch daran. Ein würziger, herber, erdiger Geruch.

Ha, da sind sie! Sagte der Typ, nachdem er sie wieder gefunden hatte. Kommen sie, es hat einen guten Schuhstand dort drüben, unter dem Baum. Ein Moment, sagte Frau A. Schweinsfuss, nahm ihr Portemonnaie hervor und gab dem Afrikaner eine Hunderternote.
Oh, ich habe kein Kleingeld, Madame, haben sie es nicht gerade richtig? Nun, das ist aber blöd, sagte Frau As und blickte in die Runde. Hat jemand Münz für hundert Franken bitte? Niemand hatte, Jeder schüttelte mit dem Kopf, manche grinsten. Nun… Woher kommen sie eigentlich in Afrika, erkundete sie sich, aus Botswana zufällig? Sie wollte gerne dem Verkäufer etwas Trinkgeld geben, aber nur, wenn er von Botswana kam.

Oh, ich komme nicht aus Afrika, Madame! Gab ihr der tief dunkle, man könnte sogar fast sagen, Schwarze, zurück. Aha! Aus der Karibik in dem Fall, Jamaika? Nein, ich komme nicht aus der Karibik. Originelle Schuhe übrigens, die sie da anhaben! Er grinste sie frech an. Dann kommen sie aus wo genau? fragte sie zurück. Ich kenne mich nämlich in Afrika aus!

Der sehr dunkle Herr, in Frack und Zylinder übrigens, seine Füsse aber in braunen Ledersandalen, rollte mit seinen Lavaschwarzen Augen. Ich komme nicht aus Afrika und mein Vater auch nicht und auch nicht mein Urgrossvater, oder meine Ururgrossmutter, oder irgendjemand sonst in ungefähr den letzten tausend Generationen, Madame. Ich komme aus Guadalcanal und dort leben meine Vorfahren seit über 5000 Jahren, Madame.
Und wo in Afrika ist das, erkundet sich die Frau noch, bevor sie weiter wollte. ICH BIN NICHT AUS AFRIKA! MADAME! Ich bin MELANESIER!

Ach so! Und ich bin vom Mond. Mela was, bitte?
MelaNESIEN, Madame. Solomonen Inseln. Honiara. Guadalcanal. Auf der ANDEREN SEITE von Afrika! Zehn mal weiter weg von Afrika, als die Schweiz. Bei Neuguinea. Schon mal gehört, Madame?
Ach so…! Ihr funkten Bilder aus alten Schulbüchern ins Bewusstsein, wo sie mal von Neuguinea gehört hatte. Und aus welchem Teil von Afrika stammt diese Maske? Haben sie noch einen Plastiksack bitte? Den Rest…, können sie behalten.
Die Maske kommt nicht aus Afrika, Madame!
Danke!

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Eigenartig berührt lief Frau A. Schweinsfuss weiter durch den Markt, dem Typ hinterher, als ihr plötzlich eine Taschenuhr ins Auge stach, mit einer Nymphe auf dem emaillierten Zifferblatt, die auf einem Ziegenfell lag. Warten Sie mal schnell! Sagte sie dem Typ und hatte spätestens ab jetzt ihren Blick für die Zeit verloren. Was für ein Juwel einer Taschenuhr. Genau eine solche hatte sie sich als Mädchen gewünscht, ohne je eine gesehen zu haben. Sie nahm sie vorsichtig in die Hand und sah, dass sie einzig einen Stundenzeiger hatte. Ob sie lief, wusste sie nicht, also presste sie ihr Ohr daran und hörte zuerst ein Ticken, aber zwischen dem Ticken hörte sie Meeresrauschen, Brecher, tosendes Wasser. Sie blickte die Uhr wieder an, schüttelte den Kopf, legte sie wieder hin und lief dem Typen hinterher zum Stand mit den Schuhen. Erst jetzt wurde ihr wieder bewusst, in was für absurden Schuhen sie selber unterwegs war, zwei verschiedenen mit ungleichen Absätzen. Die Frau hinter dem Schuhstand lächelte nett, aber mit einem Gran Hochmut, nachdem sie die Schuhe von der Frau gesehen hatte. Die wendete sich zu den Schuhen am Boden und zu ihrer grössten Verblüffung standen da ein paar sehr exklusive Schuhe aus feinstem Schlangenleder, die ihr in Etwa passen könnten. Sie glänzten, als ob die Schlange noch lebendig war. Und die Absätze waren zwar kurz, aber sehr elegant geschwungen.

Hier! Die passen ihnen sicher, meinte der Typ, er hatte ja gesehen, worauf die Dame gebannt blickte. Sie hatte inzwischen nicht nur die Zeit vergessen, sondern auch ihren Termin. Irgendwie hatte sie schon immer von solchen Schuhen geträumt, aber ihr hatte der Mut gefehlt, die Verkäufer zu fragen, ob sie sie ausprobieren darf.
Die Verkäuferin war jung, unrasiert und fern der Heimat. Sie dürfte aus Arabien gekommen sein, aber statt eines Kopftuches trug sie schwarze Haare bis zum Po. Sie lächelte immer noch und forderte die Frau auf, die Schuhe anzuziehen. Hier, setzen sie sich! Sie kam vor den Stand und rückte einen marokkanischen Kamelhocker zurecht, auf den die Frau sich setzte. Er hatte vier Scheiben aus ziseliertem Messing mit Kamelen drauf und war von einer unbestimmbaren Farbe im Spektrum des Wüstenhaften. Ein schöner Hocker! Meinte Frau A. Schweinsfuss, kaum dass sie sass. Und er fühlte sich an, wie ein Sattel.

Die Schlangenlederschuhe passten wie angegossen und waren so neu, dass ihre Ledersohlen keinen Kratzen hatten. Was kosten die, fragte die Frau. Zwanzig Franken, sagte die Verkäuferin. Zwanzig Franken…? Sie konnte es kaum glauben. Ok, fünfzehn, weil sie es sind!
Sprachlos zahlte sie mit der nächsten Hunderternote, von denen sie immer ein paar Dutzend im Portemonnaie hatte, für Notfälle. Die Verkäuferin öffnete ihre bestickte Bauchtasche und gab ihr das Wechselgeld. Machen sie zwanzig, sagte die Frau, und lächelte angenehm natürlich, wie sie es lange nicht mehr durfte. Ihr ungleiches Paar alter Schuhe liess sie am Stand und lief in Schlangenhaut umwickelten Füssen weiter. Hat sich doch richtig gelohnt, meinte der Typ und grinste.

Sie waren inmitten des Flohmarktes, dessen wahre Mitte nicht betreten werden durfte, weil dies eine Schule war, und liessen sich treiben von den Massen an bunten Leuten, die etwas suchten, oder etwas gefunden hatten, oder nichts suchten, und doch etwas fanden, oder etwas suchten, aber es nicht fanden, oder nichts suchten und nichts fanden, oder etwas suchten, aber etwas anderes fanden. Frau A. Schweinsfuss fand Gefallen, ganz urplötzlich, es war wie eine Mauer, die plötzlich gefallen war, zwischen dem, was sie kannte und dem, was sie eigentlich nie kennen lernen wollte. An einem prächtigen Imbisswagen, im Schatten zweier alter Bäume, fragte sie der Typ, ob sie ihn zu einer Suppe einladet, weil er noch nichts gegessen hat. Das erschien ihr eine Selbstverständlichkeit und schon sassen beide vor dem Imbisswagen an einem runden Gartentisch mit einem gelben Sonnenschirm. Er schlürfte eine rote Tomatensuppe und sie einen schwarzen Kaffee. Dass sie schon seit einer Stunde bei ihrem Psychologen sein sollte, hatte tiefe Vergessenheit geraubt. Sie, die immer pünktlich bei jedem Meeting zur Stelle war, war in eine andere Strömung geraten, die sie fein und zart in Richtung Süden zerrte, in Richtung Sonne, Pferde und Heu.
Der Typ sah ihr mit feinem Schalk in den Augen zu, wie ihre harte Schale in der südlichen Strömung weicher wurde und schliesslich fragte er sie, ob sie nicht einen Mantel braucht, für den nächsten Winter. Wozu denn das, fragte sie, es wird doch bald Sommer. Nun ja, gab er ihr zu bedenken, im Frühling muss man die Herbstsachen kaufen, die sind dann nämlich billig. Billig! Was war das nur für ein Mensch, der da sass und Tomatensuppe schlürfte. Billig! Was ging Frau A. Schweinsfuss schon billig an?

Beim weiter laufen merkte sie, wie angenehm die Schlangenlederschuhe waren. Sie wusste nicht, wohin sie lief und setzte einfach automatisch ihren Weg fort, im Gegenuhrzeiger um die alte Schule, um die herum sich der Flohmarkt ausbreitete. Billiges hatte nie ihre Aufmerksamkeit erlangt, sie vermutete Profanität und Stillosigkeit in billigen Läden, war noch nie in einem H&M, einem Ikea, oder Aldi. Dinge konnten ihr nicht teuer genug sein. Denn, sie hatte ein quälend kritisches Auge für Qualität. Wohin sie lief hatte sie keine Ahnung, sie liess sich treiben vom gemeinen Volk, dass sie eigentlich einen Psychologen treffen wollte, war hinter einem dünnen, jedoch äusserst farbenfrohen Canvas aus Produkten und Menschen verschwunden. Sie fühlte sich zurück versetzt in ihre Jugend in Argentinien, wo an Märkten bunte Kleider, Strohhüte, Sattel und Schmuck für Pferde angeboten wurden. Und Pferde.

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Sie roch ihn hinter sich, bevor der Typ sie überholte. Hey, Frau As, ich habe einen schönen Schal für sie entdeckt! Kommen sie! Er griff nach ihrer Plastiktasche mit der Holzmaske. Sie haben ja gar keinen Ring! Sind sie nicht verheiratet?

Nein. Ich habe keine Zeit für solche Albernheiten. Er blickte sie grinsend über die Schulter an und lachte in die Sonne, jede Falte wurde für sie erklärbar, sein Gesicht war ein Spiegel der Sonne. Sagen würde sie ihm dies natürlich nicht. Ernst verkniff sie ihre eigentlich bezaubernden Augen. Sie kam sich klein vor und wusste nicht, warum. Sie hatte sich noch nicht nachgeschminkt, fiel ihr ein, gerade im Moment, wo der Typ von einer grauen Plastikplane am Boden einen gefalteten Seidenschal aufhob. Eine wunderschöne Kutsche in erdfarbenen Tönen, ein echter Hermes Schal aus Paris. Sauber gefaltet und aus sehr feiner, fast filigraner Seide. Sie nahm den Schal entgegen und roch daran. Ein Geruch, wie sie ihn noch nie gerochen hatte in ihrem ganzen Leben. Es war kein Parfum, eher eine Person, eine Person, die ein schönes Leben hatte und zu wundervollen Orten gereist war. Der Hermes Schal schien ihr plötzlich richtig schwer zu werden, Casablanca ging ihr durch den Kopf, ohne zu wissen, warum und so faltete sie ihn auseinander, um ihn in seiner Gänze zu sehen.

Der Typ stellte die Plastiktüte mit der Maske auf den Boden und zeigte sich behilflich im Auseinanderfalten dieses schönen Schals. Sie standen zuerst nah zusammen neben einer Miniaturversion der Pyramiden von Gizeh, die Frau A. Schweinsfuss von der Seite her stoned anstarrten und sich auf ihrem Gang durch die Ewigkeit ins Fäustchen lachten. So kam es dem Typ jedenfalls vor.
Beim Auseinanderfalten zeigten sich plötzlich die Pferde, die die Kutsche zogen. Araber mit weissem Geschirr und in gestrecktem Galopp. Wohin sie entgegen galoppierten sahen die Beiden, nachdem nochmals auseinandergefaltet wurde. Eine Wüstenoase mit Palmen. Wunderschön gezeichnet und die Palmenblätter in grün.

Frau A. Schweinsfuss hatte noch nie einen so edlen Hermes Schal gesehen und fragte den Typ, ob er nach dem Preis fragen könne. Selber fragen war ihr etwas peinlich. Hinter der grauen Plastikplane am Boden, die voll war mit offensichtlich wertlosem Unrat, stand breitbeinig eine Person, die weder Mann, noch Frau war, noch Kind. Die weder jung, noch alt war und weder Europäisch, noch Afrikanisch, noch asiatisch, grönländisch, südamerikanisch, oder arabisch. Die Person grinste aber. Zehn Franken! Meinte er/sie/es mit einem Akzent, den Frau A. Schweinsfuss noch nie gehört hatte. Aber wenn sie ihn nochmals auseinander falten, kostet er zwanzig.

Die Frau und der Typ schauten sich gegenseitig verblüfft an. Dann falteten sie den Schal weiter auf. Die Wüste machte Savanne Platz, fein gepinselte Büsche und Affenbrotbäume zierten den Seidenschal und auf einem Affenbrotbaumast ruhte ein Adler. Am unteren Rand ging die Wüste in Meer über. Blau war plötzlich dabei. Und auf dem Meer kreuzte ein Segelschiff mit braunen Lateinersegeln.
Wenn sie ihn weiter auseinanderfalten, kostet er vierzig, hörte Frau A. Schweinsfuss, aber was war das schon? Ok, dann mal sehen…!
Sie falteten zusammen die untere Seite hoch, worauf das Meer noch grösser wurde und Inseln sichtbar wurden, Atolle mit türkisen Lagunen. Der Schal roch plötzlich nach Seetang. Wenn sie ihn nochmals auffalten, kostet er achtzig, grinste das seltsame Wesen hinter dem Stand. Es hatte lange, weisse Haare und ein Pferdegebiss, auf der Stirn war etwas, ein Höcker vielleicht, sie wollte lieber nicht genauer hinschauen, sondern entfaltete den kostbaren Hermes Schal um eine weitere Faltung gen oben. Die Savanne ging über in Urwald, über dem in japanischer Weise Nebelfetzen waberten und fast schien es ihr, sie bewegten sich, strömten umeinander wie flüssige Seife im Morgenbad. Er roch plötzlich wild und nach verfaulten Äpfeln und eine blaue Schlange wand sich vor Frau A. Schweinsfusses Augen vom Ast eines Baumes zum Boden hin. Hier, das ist doch was! Holte sie der Typ in die Realität zurück. Nur achtzig Franken! Aber wenn sie ihn nochmal auseinander falten… Ist er Hundertundsechzig, unterbrach ihn der Typ. Alles klar! Sie reichten sich die Hand wie Männer und grinsten ihr aufmunternd zu. Hinter dem Rücken ging ein Joint von einer Hand in die andere, ohne dass Frau A. Schweinsfuss es bemerkt hatte. Schön, dieser würzige Geruch des Schals. Ja, ich nehm ihn! Reichen ihnen zwanzig?

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Oh….

Madame, ich bin kein Bettler! Erwiderte der, oder die Verkäufer, oder das Verkäufer, sein Adrenalin pumpte Überschuss, THC schwemmte durch seine Synapsen.
Was sind sie denn? fragte Frau A. Schweinsfuss spitz, aber relativierte ihr Aussage sofort, indem sie Hundert bot. Wenn das kein Angebot war!

Sie belieben zu scherzen, Madame!
Ok, dann will ich aber den ganzen Schal zuerst sehen!
Tun sie das, entfalten sie ihn, nur zu, Madame!

Inzwischen hatte der Schal die Länge eines Betttuchs, aber es war so extrem feine Seide, dass sich noch viele Lagen darunter verbargen. Der Typ pfiff zwei Freunde herbei, die mithalfen, den Schal seitlich zu entfalten. Die Wüste setzte sich links fort und wurde zum Gebirge, das schneebedeckt den Schal schmückte. Himalaya war in Jugendstilschrift darüber gepinselt, der Mount Everest trug einen klitzekleinen Kristall auf der Spitze, der mit rotem Seidenfaden eingefasst war. Ok, ich nehm ihn.

Zweihundert! Sagte nun der/die/das Verkäufer, Verkäuferin, oder Verkäuferli.
Und so ging es weiter. Eine Stunde war noch nicht zu Ende, als an den Rändern des feinen Schals an die zweihundert Typen diesen am Rand in erhöhter Position hielten und weiter entfalteten, sodass Frau A. Schweinsfuss – als auch des Haltens von Seidenschals weniger geeignete Frauen – unter einem Baldachin der Phantasie spazieren konnten, wie ihn nicht nur Frau A. Schweinsfuss noch nie gesehen hatte. Der Preis war inzwischen auf Achtunddreissigtausend gestiegen, auch Drohnen waren gestiegen und hatten den ganzen Flohmarkt von oben gefilmt, wie durch feine Gaze hindurch Menschen mit dem Kopf nach oben wandelten, als wären sie am Betrachten eines Himmelszeichens. Von unten gesehen entfaltete sich in jeder Richtung die ganze Welt, ausser in Richtung Westen, Amerika. Je weiter fort, je detaillierter bildeten die Maler das Bild der Erde. Aus einer Kutsche mit einer schönen Frau drin mit breitem Hut und Blumen darauf und Federn am Ohr entfaltete sich ein Gemälde der Alten Welt, von Island bis Südafrika, von Sibirien bis Melanesien.

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Inzwischen hatte Frau A. Schweinsfuss herausgefunden, für was sie so reich war und bot ihr gesamtes Vermögen, sofern sie auch die Exklusivrechte an den Drohnenaufnahmen kriegen kann, als Werbespot für ihr Seifenlabel. Inzwischen war alles viral gegangen, über der zu reichen Stadt kreisten Helikopter, von dem Flohmarkt aus breitete sich der Schal über den Platz der mutigen Männer aus, wo gerade eine Frauendemo abgehalten wurde, sodass genug starke Hände da waren, den Seidenschal weiter zu entfalten. Er war so leicht, dass der aufkommende Wind durch ihn hindurch wehte und je grösser er wurde, je leichter war er zu halten. Er überrollte das Quartier der langen Strasse, den Park bei der Bäckerei, wo er von kletternden Kindern vorsichtig über die Bäume gehalten wurde, bevor er den Fluss überquerte, der nach feiner Seife roch, den Hügel hoch und quer dazu in Richtung See sich weiter entfaltete an dessen Ufer Tausende Menschen – hilfsbereit, wie sie waren – immer weitere Entfaltungen ermöglichten mit den flinken Händen, die einem nur das Zählen von Geld schenken konnten.

Inzwischen waren erste Aufnahmen aus dem All entstanden, die IS funkte Livebilder, es wurden plötzlich Summen geboten von anonymen Quellen, die den/die/das Verkäufer, Verkäuferin, Verkäuferli an sein Handy fesselten. Er hockte jetzt, Beine übereinander geschlagen, auf einem hochkant gestellten Trompetenkoffer. Seine Haare glänzten silbern im fahlen Licht, das durch den Schal schimmerte, unter dessen Mitte er/sie/es stand. Das Ding auf der Stirn betrachtete sich die Frau nun etwas genauer von der Seite und ihr schien es ein Horn zu sein. Wenn das kein Zufall war! Ein Horn! Es roch wieder nach Pferd, aber doch anders und die Frau musste sich setzen. Sie war müde und sichtlich verwirrt. Mehrere TV Crews liefen plötzlich durch den Markt. Wo die ganze Geschichte angefangen hat, wollten sie wissen. Aber niemand wusste es. Etwas Dämonisches hatte sich ereignet, niemand erinnerte sich, an was vor einer Stunde geschah. Niemand wusste, wie die Entfaltung begann. Ausser natürlich die Frau, der Typ und das Einhorn.

Ich geh mal dort hin und gebe denen Bescheid, sagte die Frau. Tun sie das ja nicht, herrschte der Typ sie an. Und das Einhorn wieherte unverständlich, senkte den Kopf und liess sie ihn wieder so sehen, dass das Horn nur wie ein Fleck auf der Stirn aussah. Sie schaute auf ihr Handy und merkte, dass es entladen war. Just in dem Moment, als ihr Schal, der aber noch nicht ihr gehörte, zu Ende entfaltet war, in Tasmanien eine Ecke, in Nowosibirsk, Kapstadt und Island je eine. Ein Zauber von einem Seidenschal. Ein echter, richtiger Zauber. In nur einem Schal.

Gut! Hier, mein Vermögen! Sie hielt dem Einhorn einen Blankocheck hin, den sie datiert und unterschrieben hatte. Das Einhorn nahm ihn zur Hand, riss ihn in feine, kleine Streifen, holte eine Senftube aus einem alten Koffer, bestrich den ersten Papierstreifen mit Senf und begann zu essen. Oh, lecker! Sagte das Einhorn schmatzend. Wollen Sie auch probieren?

Der Frau wurde es zu viel. Trotzig erhob sie sich, drehte ab und marschierte davon, wie eine ferngesteuerte Puppe, über sich in der Luft, aber knapp ausser Reichweite ihr Schal, der nun doch nicht ihrer war und inzwischen so dünn geworden war, wie der Hauch des Morgennebels über einem Urwald, der im Laufe des Tages verschwindet. Auch Drohnen konnten den immer grösseren Schal bald nicht mehr filmen und die IS Raumstation funkte wieder Wetterdaten und glaubte, sich eben getäuscht zu haben. In Tasmanien liessen die letzten Entfalter los, von was sie entfaltet hatten, manche kamen sich kindisch vor, weil das, nach was sie griffen, sich in Luft aufgelöst hatte. Die Männer in Nowosibirsk bekamen kalte Hände und auch die Isländer. In Kapstadt kletterten die letzten Leute vom Kap runter, weil starker Wind den feinen Stoff ersetzte.

Nur in Melanesien, also am weitesten Ende der ältesten Welt, lachten die Kanaken und hielten den aus der Ferne stammenden Seidenschal gut im Griff. Als sich der Zug darauf legte, weil alle Anderen losgelassen hatten, begannen sie, zu falten. Als Segler seit etwa zehntausend Jahren waren sie darin geübt. Sie zerrten vom Himmel, was nicht dem Himmel gehörte. Ein Bild der Welt und nur der Welt. Sie legten es Falte um Falte in die hohen Täler der Insel Guadalcanal.

Es kamen immer mehr Solomonesen, die halfen. Kinder rollten sich lachend den Falten entlang bergab, auf dass der zusammengelegte Schal nicht zu dick würde. Trotzdem wurde er dick und dicker, man musste Acht geben, dass keine Flüsse gestaut wurden, aber praktisch begabt, wie nur Melanesier sind, gelang es ihnen. Sauber gefaltet lag er bald entlang der Westflanken der Berge Guadalcanals auf dem Boden. Eine Megatonne Bildlichkeit, gefaltet zu einem Seidenbett für Wilde.

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In der zu reichen Stadt, am Flohmarkt am Ende der langen Strasse, versammelten sich jeden folgenden Samstag immer mehr Menschen, auch am Platz der mutigen Männer und Frauen. Frau A. Schweinsfuss, der plötzlich eingefallen war, dass sie ihre erste Sitzung beim ersten Psychologen verpasst hatte, kehrte nie mehr dorthin zurück. Der Typ war ihr nicht weiter gefolgt und das Einhorn packte seine alten Sachen in alte Koffer. Die Schlangenlederschuhe waren ihr etwas zu gross, aber sie liebte es, wenn ihre Füsse eng eingefasst waren und kleiner aussahen, als sie waren. Kaum zuhause, wanderten sie in den Müll. Einzig die Maske erinnerte sie noch länger, dass sie damals den Psychologen verpasste, den sie nun irgendwie nicht mehr vermisste. Die Taschenuhr hatte sie vergessen zu kaufen, aber das ärgerte sie nicht genug, um noch einmal an den Flohmarkt zu gehen. Die Drohnenfilme von ihrem Schal, den sie eigentlich kaufen wollte, verlinkte sie auf ihre Instagram Timeline, mit der Behauptung, dies sei ihr Schal gewesen. Das behaupteten aber Tausende, wodurch sie nur spöttische Kommentare erntete. Das Einhorn kehrte in seinen Stall zurück, im Keller eines Mehrfamilienhauses und faltete einen weiteren Schal, den er aus selbst gezwirbelten Spinnennetzen gewoben hatte. Der Typ kehrte zu seiner Bank zurück, holte den schwarzen Samsonite Koffer hervor und griff nach seiner Flasche Whiskey. Es war ihm ein Tag gewesen, wie jeder andere auf der Bank, ein Tag voller Wunder. Wie anders konnten Tage sein, wenn nicht voller Wunder?

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Eine Frau kam noch des Weges, müde und matt und barfuss. Hereinspaziert! Sagte der Typ und wies sie zu sich auf seine Bank. Sie lächelte scheu, wie ein Reh, das eben erst an einer Krippe Heu gegessen hatte, aber sie roch nach Tränengas, kaum sass sie neben ihm. Woher des Weges, Süsse? Fragte der Typ und zupfte seine Bundfaltenhosen zurecht. Ja, wo wohl? Frauendemo halt! Frauenpower! Bin total fertig!
Warum denn Barfuss, Süsse, sieh das Gute liegt so nah!
Ja, die Bullen sind hinter mir her. Ich hatte einem Polizeihund Sauhund zugerufen. Und jetzt sucht man mich wegen Beleidigung eines Polizeihundes.
Oh, das ist aber schrecklich. Versteck dich im Busch dort!
Die sind doch mit einem Hund hinter mir her!
Aha, dann brauchst Du neue Schuhe! Nimm die dort! Er zeigte zu den zwei Schuhen mit abgebrochenen Fersen, die neben dem Abfallkübel standen. Flink wie eine Ratte schlüpfte sie rein und zockelte von dannen. Sie drehte sich noch einmal kurz um und winkte dem Typ, dann verschwand sie hinter den Bronzepferden. Kurz darauf marschierte eine Viererschaft der Polizei zur Bank, wo der Typ drauf sass, gezogen von einem Schäferhund an vier Leinen, den von vorne zu sehen, den Typ an ein schlecht gelauntes Wildschwein erinnerte. Dieses blieb abrupt neben dem Abfall stehen, blickte sich um, wedelte mit dem Schwanz und bellte.
Haben sie hier eine Frau gesehen, wurde der Typ von einer Polizistin gefragt. Wir suchen eine Frau.
Genau! Ich auch!

Mit dem feinsten Spott, der sich um seinen Mund züngeln konnte, wie Elmsfeuer, liess der Typ es Nacht werden. Er hiess der Sonne sich zu sputen im Untergehen und winkte den runden, vollen Mond über den nahen Horizont, auf dass er gut schlafen werde auf seiner Bank im Park. Er winkte einen Uhu herbei, auf dass er über ihn wachen werde, aber fütterte zuerst noch die Ratten der Umgebung, dass sie ihn in Ruhe lassen. Er war ein Typ, der wusste, was Frauen brauchen, getarnte Psychologen mit Adleraugen. Er rollte seinen Burberry Mantel zum Kissen zusammen, legte seine Beine hoch und neigte sich zur Blumenseite der Bank hin, die im Licht des Mondes ihm noch lange im Kopf herum geisterten. Von wegen Frauenpower! Puh! Wir brauchen Flowerpower! Ein letzter Schluck Whiskey, ein letzter Zug am Joint. Leise knisterte das Gras und leise wachte der Uhu und nur manchmal, da schreite er fein.

 

Bild könnte enthalten: eine oder mehrere Personen, Hut, Text und im Freien

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1 Response to Frau A. Schweinsfuss auf dem Weg zum Psychologen, letzten Samstag

  1. thinkaptain says:

    “Frau A. Schweinsfuss auf dem Weg zum Psychologen, letzten Samstag”
    Ausgedacht und in erster Fassung geschrieben 1983, Manuskript verloren seit 20+ Jahren. Wieder geschrieben und aktualisiert 2019. Eine Affengeile Geschichte über die Verhängnisse einer Seifenfabrikantin….

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